Social Freezing: Die Freiheit, später Mutter zu werden
Nicht jeder Kinderwunsch ist an einen klaren Zeitpunkt im Leben gebunden. Für viele Frauen entsteht er nicht mit Mitte zwanzig, sondern wächst mit den Jahren – manchmal begleitet von einem Gefühl der Unsicherheit: „Wird es zu spät sein, wenn ich soweit bin?“
Social Freezing – das vorsorgliche Einfrieren von Eizellen – bietet die medizinische Möglichkeit, sich Zeit zu verschaffen. Es ist keine Garantie, aber eine Option. Und es ist ein sensibles Thema, über das man sich gut informieren sollte.
Die Fruchtbarkeit und das Alter: ein natürlicher Zusammenhang
Frauen werden mit einer endlichen Anzahl an Eizellen geboren – etwa ein bis zwei Millionen. Diese Reserve nimmt im Laufe des Lebens kontinuierlich ab. Ab dem 35. Lebensjahr sinken sowohl die Anzahl als auch die Qualität der Eizelle, was die Chance auf eine Schwangerschaft vermindern kann.
Dieser biologische Prozess verläuft individuell sehr unterschiedlich. Social Freezing ermöglicht es, Eizellen in einer Phase guter Qualität einzufrieren – typischerweise zwischen dem 25. und 35. Lebensjahr – und sie bei Bedarf später für eine Kinderwunschbehandlung zu nutzen.
Ein medizinisches Verfahren – unterschiedliche Beweggründe
Das Verfahren der Kryokonservierung wird sowohl im Rahmen des Social Freezing als auch bei medizinischen Indikationen eingesetzt. Medizinisch gesehen ist der Ablauf identisch – doch die Motivation unterscheidet sich:
Social Freezing richtet sich an gesunde Frauen, die aktuell keinen Kinderwunsch haben, ihn aber für später offenhalten möchten.
Medical Freezing kommt dann zum Einsatz, wenn eine Erkrankung oder deren Behandlung die Fruchtbarkeit gefährdet.
Gründe für Social Freezing:
- Aktuell kein passender Lebenspartner
- Wunsch nach zeitlicher Unabhängigkeit
- Konzentration auf Ausbildung, Karriere oder andere Lebensziele
- Familiäre Vorbelastung durch frühe Menopause
- Wunsch nach Sicherheit und Planungsspielraum
Gründe für Medical Freezing:
- Vor onkologischer oder autoimmuner Therapie
- Vor Operationen an den Eierstöcken
- Bei genetischer Disposition für eingeschränkte Fruchtbarkeit
- Im Rahmen einer geschlechtsangleichenden Behandlung
Zahlen und Entwicklungen
- 2.755 Frauen ließen 2023 in Deutschland ihre Eizellen aus nicht-medizinischen Gründen einfrieren – deutlich mehr als 2022 mit 1.808 Fällen. Diese Zahlen basieren auf dem aktuellen Jahrbuch des IVF-Registers Deutschland (DIR 2023).
- Etwa 70 % dieser Behandlungen wurden bei Frauen im Alter über 35 Jahren durchgeführt, was auf eine verstärkte Nutzung in späteren Lebensphasen hinweist (DIR 2023).
- Internationale Studien zeigen, dass sich rund die Hälfte der Frauen im Alter von 30 bis 39 Jahren vorstellen kann, Social Freezing in Anspruch zu nehmen. Zwei Studien belegen dies exemplarisch:
- Wang et al. (2017): 64–71 % der befragten US-Medizinstudentinnen halten eine Kryokonservierung für grundsätzlich denkbar. Journal of Assisted Reproduction and Genetics, DOI: 10.1007/s10815-017-0956-9
- Lee et al. (2023): Bestätigt vergleichbare Einstellungen in einer späteren Kohorte. Journal of Assisted Reproduction and Genetics, DOI: 10.1007/s10815-023-02845-5
Ablauf: Schritt für Schritt
- Ärztliches Beratungsgespräch
Am Anfang steht ein ausführliches Gespräch mit einem Reproduktionsmediziner oder einer Reproduktionsmedizinerin. Dabei geht es um die individuelle Lebenssituation, medizinische Voraussetzungen und den voraussichtlichen Behandlungsverlauf - Hormonelle Stimulation
Über etwa 10 bis 12 Tage werden Hormone verabreicht, um mehrere Eizellen gleichzeitig zur Reifung zu bringen. Die Behandlung erfolgt in enger ärztlicher Begleitung und regelmäßigen Kontrollen per Ultraschall und Blutuntersuchung. - Auslösen des Eisprungs
Sobald genügend Eizellen herangereift sind, wird der Eisprung gezielt durch eine sogenannte „Trigger-Spritze“ ausgelöst. - Eizellentnahme (Punktion)
Die Entnahme erfolgt ambulant unter Sedierung. Über die Scheide wird eine feine Nadel eingeführt, mit der die Eizellen aus den Follikeln entnommen werden. Der Eingriff dauert in der Regel 10–20 Minuten. - Vitrifikation und Lagerung
- Die Eizellen werden unmittelbar nach der Entnahme im Labor mittels Vitrifikation bei –196 °C eingefroren und können über viele Jahre hinweg gelagert werden.
Anm.: Die medizinisch empfohlene Mindestanzahl liegt bei etwa 15–20 Eizellen – oft sind dafür mehrere Stimulationszyklen nötig.
Realistische Perspektiven – medizinisch und sozial
Social Freezing kann die Chancen auf eine spätere Schwangerschaft erhöhen – insbesondere, wenn die Eizellen in jungen Jahren gewonnen wurden. Dennoch bleibt jede Schwangerschaft ein komplexer, individueller Prozess.
Mit zunehmendem Alter verändern sich nicht nur Eizellen, sondern auch der gesamte Organismus. Die Gebärmutter, das Hormonsystem und das allgemeine Gesundheitsprofil der Frau beeinflussen die Erfolgswahrscheinlichkeit ebenso wie die Qualität der eingefrorenen Eizellen. Auch soziale Fragen spielen eine Rolle: Wie fühlt es sich an, als ältere Mutter ein Kind zu bekommen? Welche Unterstützung steht zur Verfügung?
Wichtig: Social Freezing bewahrt eine Option – keine Garantie.
Auch für Männer eine Option
Auch Spermien können kryokonserviert werden – sowohl aus medizinischen Gründen (z. B. vor einer Chemotherapie oder Sterilisation) als auch aus sozialen oder individuellen Beweggründen. Die Entnahme erfolgt meist durch Masturbation in der Klinik, seltener operativ. Die Samenprobe wird analysiert, in mehreren Portionen eingefroren und bei Bedarf im Rahmen einer Kinderwunschbehandlung verwendet.
Sperma einfrieren – medizinischer Überblick
- Vor onkologischer Therapie
- Vor Sterilisation
- Genetische Disposition zur eingeschränkten Fruchtbarkeit
- Vor geschlechtsangleichender Maßnahme
- Beratung und Aufklärung
- Abgabe der Samenprobe
- Kryokonservierung und Lagerung bei –196 °C
FAQ – häufig gestellte Fragen zu Social Freezing
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Wie lange können Eizellen oder Spermien eingefroren werden?
Theoretisch unbegrenzt. Medizinisch empfohlen ist eine Verwendung eingefrorener Eizellen bis spätestens zum 50. Lebensjahr.
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Wie viele Eizellen sollten eingefroren werden?
Als Richtwert gelten 15–20 Eizellen. Die genaue Zahl hängt von Alter und Hormonstatus ab.
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Ist der Eingriff schmerzhaft?
Die Eizellentnahme erfolgt unter Sedierung. Danach können kurzfristig Unterbauchbeschwerden auftreten.
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Wie hoch sind die Erfolgschancen?
Entscheidend sind das Alter beim Einfrieren und beim Einsetzen. Junge Eizellen bieten bessere Voraussetzungen. Auch der Gesundheitszustand der Frau zum Zeitpunkt des Transfers beeinflusst die Erfolgswahrscheinlichkeit. Im Schnitt überleben 80–90 % der Eizellen das Auftauen, 60–70 % lassen sich erfolgreich befruchten.
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Wer übernimmt die Kosten?
Bei medizinischer Notwendigkeit ist eine Kostenübernahme durch die Krankenkasse möglich. Social Freezing ist meist eine Selbstzahlerleistung.
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Ist Social Freezing auch für Single-Frauen möglich?
Ja, selbstverständlich. Der Beziehungsstatus spielt für die Durchführung keine Rolle.
Social Freezing ist ein medizinisch ausgereiftes Verfahren, das Frauen wie Männern mehr Autonomie bei der Familienplanung ermöglicht. Es eröffnet eine zusätzliche Option – mit dem Wissen, dass Fruchtbarkeit nicht unendlich verfügbar ist.
Mit guter ärztlicher Begleitung, realistischer Erwartung und individueller Abwägung kann Social Freezing ein wertvoller Teil der Lebensgestaltung sein – zu einem selbst gewählten Zeitpunkt.
Fruchtbarkeit lässt sich nicht planen – aber bewahren.